Warum spielt Zeit beim Netzausbau so eine wichtige Rolle?
— Olivier Feix: Wenn der Netzausbau hinter den Entwicklungen zurückbleibt, kann dies erhebliche Kosten für die Gesellschaft verursachen. Seit der Inbetriebnahme der Südwest-Kuppelleitung haben wir in nur vier Jahren über 650 Millionen Euro an Kosten für Engpassmanagement eingespart. Auch die bis 2030 geplanten HGÜ-Verbindungen werden die Redispatch-Kosten in Deutschland massiv senken. Diese wirtschaftlichen Einsparungen bedeuten direkten Wohlfahrtsgewinn für die Gesellschaft. Darüber hinaus ist auch der ökologische Preis zu berücksichtigen. Erneuerbare Energien, die wir nicht in unser Stromnetz integrieren können, werden durch Erzeugungsarten mit hohem CO2-Ausstoß ersetzt. Schließlich sind da noch die sozialen Kosten. Dezentrales Potenzial und neue Initiativen können sich in einem System, das eine solche Menge an erneuerbaren Energien nicht bewältigen kann, nicht entfalten. Selbst wenn viele lokale Bürger*innen, Prosumer*innen oder Verbände und Vereine zu Investitionen in das Gesellschaftsprojekt Energiewende beitragen möchten, bleiben ihre Ideen schwer umsetzbar, wenn unser Netz nicht ausreichend entwickelt ist.
Wie können wir als ÜNB zur fristgerechten Bereitstellung der Infrastruktur beitragen?
— Olivier Feix: Wir können zum einen die Vorteile nutzen, die wir als Gruppe von zwei starken Übertragungsnetzbetreibern haben: Wir können unser Wissen, unsere Erfahrungen aus den Infrastrukturprojekten austauschen und so voneinander lernen. Das unterstützt uns dabei, die Umsetzung komplexer Infrastrukturprojekte wie den SuedOstLink zu beschleunigen und Verzögerungsrisiken früher zu entdecken und ihnen zu begegnen. Zum anderen sind Dialog, Partizipation und Kommunikation elementar für unsere Projekte.
Unsere Stakeholder sind anspruchsvoller geworden. Bürger*innen, unterschiedlichste Verbände und gesellschaftliche Interessengruppen möchten sich aktiv an der Entscheidungsfindung beteiligen. Das ist einerseits eine Herausforderung und kann unsere Genehmigungsverfahren noch komplexer machen. Andererseits liefert es wertvolles Wissen, das wir in unsere Planungsprozesse rechtzeitig einfließen lassen können, um bessere Ergebnisse zu erzielen. Wir suchen also aktiv gute Wege, wie wir die diese wichtigen Anspruchsgruppen in unsere Projekte über deren gesamte Planungsphase einbeziehen.
Heißt das, dass neue Wege der Einbeziehung der Stakeholder gelten?
— Olivier Feix: Wir haben gelernt, dass gerade kritische Stakeholder häufig bereit sind, nützliche Vorschläge zu machen oder neue Fakten hinzuzufügen, wenn wir aktiv Dialogangebote vor Ort machen. Diese können uns bei der Trassenfindung und der Bewertung alternativer Trassen, technischer Optionen oder ökologischer Kompensationsmaßnahmen helfen. Wenn wir diesen Vorteil nutzen wollen, müssen wir den Dialog frühzeitig, zielgerichtet und auf Augenhöhe suchen. Die Menschen möchten Teil der Genese sein und Energiewende mitgestalten. Das ist ganz klar ein positiver Aspekt. Es bedeutet aber auch, dass Ideen und Vorschläge von mündigen und aktiven Bürger*innen in unseren Kernprozessen der Projektplanung und -umsetzung berücksichtigt werden müssen. Es geht nicht bloß um eine frühzeitige Information nur um der Transparenz willen. Wir wollen wechselseitige Beziehungen über den gesamten Projektentwicklungsprozess, um zielgerichtet unsere Projekte besser zu machen – besser im Sinne der Gesellschaft. Aus diesem Grund haben wir unsere Planungs- und Genehmigungsprozesse komplett überarbeitet und auf einen integrierten Ansatz unter konsequenter Einbeziehung externer Stakeholder ausgerichtet. Wir lernen gerade,diese neue Dynamik positiv zunutzen.
Welche speziellen Erwartungenhaben Sie an Regierungen und Behörden?
— Olivier Feix: Zunächst erwarten wir einen kooperativen Ansatz und eine aktive Beteiligung mit dem Bewusstsein, dass es sich um gemeinsame Projekte handelt. Was meine ich damit? Die Genehmigungsverfahren sind immer noch zu zeitaufwendig, zu komplex und mit vielen Unsicherheiten verbunden. Von einer Zusammenarbeit an unseren gemeinsamen Schnittstellen zwischen Politik, Behörden und Vorhabenträger können alle sehr profitieren. Konkret meine ich, dass von Anfang an klar sein muss, wer welche Rolle in welcher Planungsphase spielt und was die Beteiligten voneinander erwarten. Nur wenn dies eindeutig definiert und umgesetzt wird, gewinnen Interaktionen und Prozesse an Effizienz.